Wenn Düfte erzählen hiess es vom 26. Mai bis zum 2. Juni 2019 in Solothurn. Im Rahmen des Schweizerischen Nationalfonds Agora Projekts Smelling more, smelling differently an der Berner Fachhochschule gab es eine Eventreihe mit mehreren hundert Besuchern, die als innovatives Duft- und Literaturfestival in die Annalen geht: interaktiv, partizipativ & performativ. Die Entwicklung neuer Düfte wurde zuvor in zwei weiteren Nationalfondsprojekten in Bern aus einer Managementperspektive mit einem innovativen Methodenmix untersucht. Wenn Düfte erzählen erweiterte diese Ansätze für den Dialog mit der Öffentlichkeit. Hier ein Rückblick auf Präsentationen, Schreibateliers, Workshops, Lesungen und die Duftbar.
Duftbar mit internationalen Kompositionen
Wenn Düfte erzählen begann mit der Eröffnung der Duftbar mit Kompositionen von Brian Goeltzenleuchter, Christophe Laudamiel, Sean Raspet und Andreas Wilhelm. Einige Düfte forderten die Komfortzone der Nase heraus. Auch der kommunikative Kontext der Bar sorgt für spannende Entdeckungen. Die Arbeit der vier namhaften internationalen Nasen, deren Kreationen teils in der Parfumeure, teils in der postmedialen Kunst zuhause sind, war zuvor in Forschungsprojekten aus nächster Nähe erkundet worden. In der ehrwürdigen Couronne Bar in der Solothurner Altstadt konnten die Besucher*innen zudem Stationen der Entwicklung dieser Wohlgerüche sowie auch exklusive Rohmaterialien erleben: Die rund 20 finalen Kompositionen waren auf den Flaschen, die in der Bar auf kleinen Tablett verteilt waren, jeweils mit einem Grossbuchstaben ausgewiesen. Die kleinen Buchstaben mit einem oder mehreren Sternen zeigten Modifikationen – also Stationen der Entwicklung des Dufts des jeweiligen Grossbuchstabens. Ein Highlight waren auch die über 50 teilweise sehr wertvollen Rohstoffe, die in der Duftbar isoliert und dann auch als Teil von Kompositionen erschnuppert werden konnten. Diese waren auf den Flaschen mit einer Zahl durchnummeriert. Mit Hilfe der ausliegenden Menus konnte man so über eine Woche «olfaktorische Verwandtschaftsverhältnisse» in der Duftbar nachvollziehen, abseits von Marken und Kommerz neue Erfahrungen mit der Nase machen und eigene Zugänge zur geheimnisvollen Welt der Düfte finden.
Düfte und Gerüche rufen schnelle Reaktionen des Gefallens oder Missfallens hervor. Die Forschungs- und Kommunikationsprojekte gehen von Beginn über diese “hedonistische Bewertung” hinaus und suchen im Dialog mit der Öffentlichkeit nach weiteren Bedeutungen: Duft als Kulturfaktor?
Was könnten Düfte bedeuten oder gar erzählen?
Oft meint man, dass es an Worten für Düfte fehle. Geruchserfahrungen scheinen ihrer Versprachlichung zu entziehen: “…unsere Sprache taugt nicht zur Beschreibung der riechbaren Welt”, stellt selbst Patrick Süskind nüchtern fest. Wenn Düfte erzählen antwortete also auch auf diese Skepsis gegenüber den literarische Potenzialen olfaktorischer Phänomene. Und es ist dann auch weniger erstaunlich, dass Wenn Düfte erzählen bereits im Vorfeld mehrfach als Glanzlicht der Solothurner Literaturtage herausgestellt wurde. Aus der Literatur konnte der Schriftsteller Tim Krohn, der bereits in einem Vorprojekt als künstlerisch Forschender mit kreativen Möglichkeiten ausgewählter Düfte gearbeitet hatte, für das Experiment gewonnen werden: Um die Duftbar zu besiedeln, die Düfte zu beschreiben, überschreiben – ganz nach dem Motto: “Wenn Parfums ins Plaudern geraten…â€.
Vernissage: Es werde Duft….
Als Popup Store für Geschichten eröffnete die Duftbar mit einer Vernissage mit dem Zürcher Parfumeur Andreas Wilhelm und dem Schriftsteller Tim Krohn. Es gab Einblicke in die Welt der Duftentwicklung aus erster Hand:
Photography by Natalie Fasnacht
Duft-Geschichten
Im Zentrum der nächsten Tage stand für Tim Krohn die Auseinandersetzung mit den Düften. Tim folgte einer selbstgewählten Vorgehensweise, die an ein systematisches Experiment erinnert: “Die Versuchsanordnung: Ich trage ein Parfum auf den Duftträger auf und rieche ihn viermal: sofort, nach einer Stunde, nach drei und acht Stunden. Jedesmal notiere ich mir ganz ungefiltert, welche Bilder der Duft bei mir auslöst. Daraus komponiere ich anschliessend die Geschichte des Parfums“.
Tim Krohn erlebte die Düfte als “laut”. Man müsse ihnen nur zuhören, meinte er in Workshops & Interviews. Später bemerkte Tim Krohn zu seinem Vorgehen: Man könne Verantwortung abgeben, wenn man diese Düfte beschreibe. Man könne einfach den Bildern folgen.
Auf einem Bildschirm in der Bar konnte man via Googledocs den Fortschritt der Erzählarbeit verfolgen und erste Fassungen lesen.
Photography by Natalie Fasnacht
Die Arbeit an den eigenen Geschichten wurde an den Vormittagen jeweils für einen Workshops mit Schülern unterbrochen. Während der Tage folgten viele Besucher*innen auch der Aufforderung des Programms und störten Tim mit Fragen und eigenen Geruchsassoziationen.
Wie kommt das Wissen in die Flasche?
Aus nächster Nähe untersuchten Forschende die Entwicklung neuer Düfte im Rahmen mehrerer Projekte des Schweizerischen Nationalfonds. Diese Forschung ist die Grundlage für Wenn Düfte erzählen. Einen Überblick über den Forschungsoutput gibt es hier. Weitere Informationen zur Forschung gibt es hier. Die Präsentation von Christophe Laudamiel, Nada Endrissat und Claus Noppeney am Mittwochabend vermittelte Einblicke in diese verschlossene Welt. In Solothurn trafen also Innensicht und Aussensicht lebhaft aufeinander:
Photography by Natalie Fasnacht
Nasenzauber
Ein vernügliches Angebot für Kinder und Familien stand am Auffahrtstag auf dem Programm von “Wenn Düfte erzählen”. Christophe Laudamiel, einer der international wohl spannendsten Parfumeure, hatte spannende Rohstoffe und auch eigene Kompositionen mitgebracht. Ein Höhepunkt war dabei sein olfaktorischer Comic, bei dem die Nase einen Affen samt Banane erschnuppern konnte:
Photography by Nada Endrissat
Schreiben im Atelier
Mehrere Schreibateliers akzentuierten den partizipativen Charakter von Wenn Düfte erzählen. Tim Krohn gab eigene Erfahrungen aus der Auseinandersetzung mit den Düften weiter und ermunterte “mutige Wortkünstler”, wie Andreas Kaufmann die Teilnehmenden nannte, der Nase nach zu gehen. Spannend war es zu erleben, welche unterschiedlichen Methoden mit den Materialien der Duftbar – Kompositionen, Modifikationen & Rohmaterialien – möglich wurden.
Beim Schreibatelier “ Der Schlüssel zur verbotenen Kammer” gab es beispielsweise einen Duft von Andreas Wilhelm, zu dem zahlreiche Interessierte unter Anleitung von Tim Krohn eigene Texte und Geschichten verfassten:
Photography by Natalie Fasnacht
Dieses Radio Feature fängt direkte Eindrücke von Teilnehmenden aus dem Schreibatelier ein. mutige Wortkünstler trauen sich dieses Unterfangen zu” –
Podium als Denkpause
Am Nachmittag machte die Duftbar eine Pause. Im Rittersaal stiess eine Gesprächsrunde mit Sieglinde Geisel, Tim Krohn, Claus Noppeney und Rudolf Velhagen über die Praxis des Schreibens mit Düften auf lebhaftes Interesse: “Ich rieche also bin ich”.
Photography by Natalie Fasnacht
Neue Bedeutung für die Düfte!
Während des ganzen Tages herrschte im Foyer rund um die Installation der Duftbar ein reges Kommen und Gehen: Es wurde geschnuppert, Duftarchitekturen erkundet, geschrieben und schliesslich gelesen:
Photography by Natalie Fasnacht
Literarisches Flanieren
An den Abenden der Literaturtage stand jeweils das Literarische Flanieren auf dem Programm: “Keine grossen Lesungen, sondern kleine, intime und auch experimentelle Formen, bei denen man sich treiben lassen und schnuppern kann”, wie Roland Schmid das Format beschreibt. Ein illustrer Kreis versammelte sich zu diesem “Du auf Du mit dem Autor” jeweils in der Duftbar im La Couronne. Der aktuelle Stand des Manuskripts lag in einer Kopie bereit, um einander Tim Krohns Geschichten, die durch die Nase gehen, vorzulesen. Vor und nach den Geschichten gab es dann die Düfte, samt Modifikationen und charakteristischer Rohmaterialien.
Photography by Natalie Fasnacht
Währenddem schrieb Tim weiter und wurde auch gestört…
“Und es ward Duft”
Mit einer grossen Lesung an den Solothurner Literaturtagen, bei der Tim Krohn eine Auswahl der in dieser Woche entstandenen Geschichten vortrug, ging die Veranstaltungsreihe am Sonntag Nachmittag zu Ende. Das Literaturblatt kommentierte später: “Aus den Notizen, Assoziationen und aufgestiegenen Bildern schuf Tim Krohn Texte, Kurzgeschichten, Sprachskizzen, die einen ganzen Saal bestens zu unterhalten wussten. Zu wünschen ist nur, dass diese kunstvollen Miniaturen irgendwann einem breiten Publikum zugänglich werden”. Im Anschluss an die Lesung kamen viele in die Bar und das Foyer, um den Geschichten nochmals in der anderen Sinneswelt nachzuschnuppern: “Und es ward Duft”.
Photography by Sabrina Christ
Forschung inspiriert neue Dienstleistungsangebote
Die Geschichte von Wenn Düfte erzählen führt an die Berner Fachhochschule, wo Düfte aus kultur- und organisationswissenschaftlicher Perspektiven in mehreren Projekten mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds nicht nur beforscht werden. Bereits im ersten Projekt waren an der Berner Fachhochschule auch die Künste dabei – Design, Musik & Literatur – und so auch Tim Krohn, der bereits damals Düfte Geschichten schreiben liess.
Gestützt auf die Forschung entstehen Praxisprojekte - also beispielsweise Kreativitätsworkshops, Projekte im Duftmarketing, Organisationsentwicklungsprojekte und Trainings – die mit Unternehmen durchgeführt werden. Im Herbst erscheint bei Niggli «Nosewise», das diese Erfahrungen spielerisch für kreative Köpfe umsetzt.
Smelling more, smelling differently
Wenn Düfte erzählen wurde im Rahmen des SNF Agora Projekts Smelling more, smelling differently: Scent as Cultural Practice unter der Leitung von Prof. Dr. Claus Noppeney in Kooperation mit den Solothurner Literaturtage 2019, dem Scent Culture Institute und Scent-Festival im Hotel La Couronne in Solothurn durchgeführt. Einen Überblick über den Forschungsoutput gibt es hier. Weitere Informationen zur Forschung gibt es hier. Das gesamte Programm von Wenn Düfte erzählen hier als PDF. Nach einer Woche löste sich der Titel ein: Duft als kulturelle Praxis!
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One thought on “Düfte plaudern lassen: Rückblick auf Duft – & Literaturfestival in Solothurn”
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